wurde 1974 in Zehdenick/Mark geboren und lebt als Autorin, Musikerin und Sängerin in Berlin. Von 1993 bis 1997 arbeitete sie als Journalistin für die Märkische Allgemeine Zeitung. Sie studierte Philosophie, Soziologie und Osteuropäische Geschichte, war Puppenspielerin für ein fahrendes Theater und Initiatorin des Berliner Erich Mühsam Fests. 2001 gründete sie ihre Band Der Singende Tresen, mit der sie noch immer durchs Land tourt. Seit 2002 entstanden zahlreiche Liedtheater-Programme und Stücke für Kindertheater mit Co-Autor Markus Liske, mit dem sie seit 2009 auch die „Gedankenmanufaktur WORT & TON“ betreibt. 2004 erschien ihr erster Gedichtband „Tresenlieder“ (Edition AV), 2005 die erste offizielle CD des Singenden Tresens.

In gemeinsamer Herausgeberschaft mit Markus Liske veröffentlichte sie 2011 die Nachwendeanthologie „Kaltland – eine Sammlung“ (Rotbuch), 2014 das Erich-Mühsam-Lesebuch „Das seid ihr Hunde wert!“ (Verbrecher Verlag) und 2015 den Band „Vorsicht Volk! Oder: Bewegungen im Wahn?“ (Verbrecher Verlag). Zwischen August 2015 und Mai 2016 erschien in der Tageszeitung taz ihr Fortsetzungsroman „Im Anwohnerpark“. Ende Juli 2017 folgte „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ (Verbrecher Verlag) ihr inzwischen in mehrere Sprachen übersetztes und mehrfach für Theater adaptiertes Roman-Debüt zwischen Buchdeckeln, für das sie u.a. mit dem Anna-Seghers-Preis und dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde.

Manja Präkels schreibt für diverse Zeitungen und Magazine, u.a. Der Spiegel, Taz, Jungle World und Woz. Im Herbst 2022 erscheint unter dem Titel „Welt im Widerhall oder war das eine Plastiktüte“ eine Sammlung ihrer Essays im Verbrecher Verlag.

www.gedankenmanufaktur.net

Foto © Christoph Voy

Biblio- & Diskographie

Bücher

Welt im Widerhall oder war das eine Plastiktüte? (Essays), Verbrecher Verlag 2022
Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß (Roman), Verbrecher Verlag 2017
Vorsicht Volk! (Anthologie, Hg. mit M. Liske), Verbrecher Verlag 2015
Das seid ihr Hunde wert! (Erich Mühsam-Lesebuch, Hg. mit M. Liske), Verbrecher Verlag 2014
Kaltland – Eine Sammlung (Anthologie, Hg. mit M. Liske & K. Krampitz), Rotbuch 2011
Tresenlieder (Gedichte), Verlag Edition AV 2004

Tonträger

Manja Präkels & Der Singende Tresen: Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß (Hörbuch), Frops Records 2021
Markus Liske & Der Singende Tresen: Der Sechs Tage im April – Erich Mühsams Räterepublik (CD), Speak Low 2019
Der Singende Tresen: Mühsamblues (CD), Setalight Records 2014
Der Singende Tresen: Ernste Musik (CD / Vinyl), Setalight Records 2012
Der Singende Tresen: Kein Teil von Etwas (CD-Hörstück), Raumer Records 2009
Der Singende Tresen: Clowns im Regen (CD), Raumer Records 2007
Der Singende Tresen: Sperrstundenmusik (CD), Raumer Records 2005
Der Singende Tresen: Hundsgemeines Leben (Live-CD), Eigenpressung 2003

Manja Präkels liest aus der Essaysammlung Welt im Widerhall, die im Herbst 2022 im Verbrecher Verlag erscheinen wird.

Leseprobe

Fensterblick

Ich muss mal wieder Fenster putzen.
Wenn ich rausschaue, steht da ein Hochhaus. Siebzehn Stockwerke. Hier wie dort. Aber dort sind keine Fenster. Keine Leute. Ich schaue auf die hell gestrichene Brandmauer. Es ist der Blick auf ein leeres Blatt. Wenn ich am Rechner sitze und mir nichts einfällt, stehe ich auf, trete ans Fenster und – voilà … Mir macht das nichts.
Viele Leute fürchten sich davor, verrückt zu werden am Alleinsein. Ich habe einen Meisenknödel vor das Fenster gehängt. Vor die Leinwand. Es kommen Spatzen. Und dicke Tauben. Ihr einlullendes Gurren ist mein Stimmungsbarometer. Manchmal verspüre ich Lust, sie zu erschießen. Sie oder den blöden Dauerkläffer vorm Supermarkt da unten. Der bellt minutenlang und ohne Unterlass die Türen an. Seine Besitzerin braucht solange für den Einkauf, weil sie im Rollstuhl sitzt und wirklich viel Bier braucht, um den Tag zu überstehen. Nichts ist in Ordnung. War es nie.
Meine Großmutter saß viele Stunden ihres Lebens an ihrer Nähmaschine und schaute hinaus. Ihre Hände kannten die Arbeit. Blind. Schoben, zupften, prüften Stoffe. Sie blickte dabei auf die Straße, eine alte Linde, den Friedhof für die gefallenen Sowjetsoldaten. Das Alleinsein setzte ihr zu. Daran kann ein Mensch sich nicht gewöhnen. Oder?
Direkt neben dem Fenster hängt ein Wetterhäuschen. Hydrometer. Bei schönem Wetter dreht die eine, bei schlechtem Wetter die andere Person nach draußen. Sie kommen weder im Haus noch außerhalb jemals zusammen. Allerhöchstens an grauen, milden Tagen, stehen sie auf einer Höhe und blicken nach draußen, jede aus ihrer eigenen Tür. Isolation in Gemeinschaft. In Zweisamkeit.
Fenster putzen.
Muss ich mal wieder machen.
Zeitung zerreißen. Rausgehen. Wischen, bis es quietscht.
Ich denke an Frau Ahlgrimm und die anderen alten Leute, die mit ihren dicken Kissen die Fensterbänke meiner Kindheit bevölkerten. Solang ich noch hilflos klein und wackelig auf den Beinen gewesen war, hatten diese Alten, die aus Fenstern schauten manchmal überraschend eine ihrer runzligen Handflächen nach mir ausgestreckt. Da lag dann ein Bonbon drin. Oder ein Groschen. Später verpfiffen sie mich bei meinem Vater, der immer genau wusste, wann ich an welcher Straßenecke geraucht hatte oder geknutscht oder an die Wand gekotzt. Hatten alle kein Telefon, damals.
Wie ich es jahrelang gehasst habe, zu telefonieren! Jetzt gehe ich ran. Bei jedem einzelnen Anruf. Naja fast.
Total durcheinander. Bin ich das, oder ist es die Welt?
Da.
Draußen.
Vorm Fenster.
Eine Romni steht vorm Edeka. Wird weiträumig umkurvt. War schon vor der Pandemie so. Ist schlimmer geworden. Es fehlt nicht mehr viel und einer schlägt ihr die Hand fort. Sie humpelt davon. In kein Zuhause.

Ich bin klein.
Mein Herz ist rein.
Da passt auch niemand sonst hinein.

Meine Großmutter trug immer ein Transistorradio mit sich herum, es hatte einen Tragegriff. Wenn sie Wäsche aufhängte, stellte sie es ins Gras. Oder auf den Tisch vor der Hollywoodschaukel, wenn das Wetter schön war und sie strickte. „Versprich mir, nicht auf einmal stumm zu sein.“
Komisch. Das hat sich wohl vererbt. Direkt nach dem Aufstehen stelle ich die Radios an. In der Küche. In meinem Zimmer. Auf der Suche nach einer Stimme gegen das Alleinsein. Sie spielen Durchhaltemusik. Schmachtende Popsongs. Don´t let the sun go down on me. You never walk alone. Wer hat diesen Dreckssender eingestellt? Ach, ich war das? Auf der Suche. Im Äther, nachts um halb vier.
Eines Morgens, in aller Frühe. Bella Ciao, Bella ciao…
Im Fernsehen Musikantenstadl. Trödeltruppen. Hart und unfair. Dass meine Feinde weiter mit mir sprächen. Die alten Frauen, die verwitweten, damals, die hatten sich ein Reservoir an Erinnerungen angelebt, die sie in Tagträume verwandelten, eine Art Wegzehrung fürs Fortleben. Aber was, wenn da nichts ist? Was, wenn keiner mehr umgeht, draußen auf den Straßen? Wenn nichts mehr zu beobachten ist? Womit füttere ich dann die Vögel?
Ich muss mal wieder Fenster putzen.