wurde 1974 in Berlin geboren und wuchs in Leipzig auf. Sein Vater war Zootierarzt, wodurch er einen großen Teil seiner Kindheit im Leipziger Zoo verbrachte. Später studierte er zwei Jahre Medizin, danach Biologie und Germanistik. Von 2004-2009 war er Student am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Er schreibt Gedichte, Prosa und Drehbücher.

Mit seinem Romandebüt Freudenberg, aus dem er lesen wird, hat es Carl-Christian Elze auf die am 23.08.22 veröffentlichte Longlist des mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreises geschafft.

Er veröffentlichte mehrere Gedichtbände, u.a. „ich lebe in einem wasserturm am meer, was albern ist“ (luxbooks 2013), „diese kleinen, in der luft hängenden, bergpredigenden gebilde“ (Verlagshaus Berlin 2016), „langsames ermatten im labyrinth“ (Venediggedichte; Verlagshaus Berlin 2019) und „panik/paradies“ (Verlagshaus Berlin 2022).
Seine letzten Prosapublikationen sind „Oda und der ausgestopfte Vater“ (Zoogeschichten; kreuzerbooks 2018) und „Freudenberg“ (Roman; Edition Azur 2022).
Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem 1.Preis des Irseer Pegasus (2006), dem Lyrikpreis München (2010), dem New York-Stipendium der Max Kade-Foundation (2010), dem Joachim-Ringelnatz-Nachwuchspreis (2014), dem Rainer-Malkowski-Stipendium (2014) und einem Stipendium im Deutschen Studienzentrum in Venedig (2016).
ccelze ist Mitbegründer der Leipziger Lesereihe „niemerlang“, Monatsjuror bei „lyrix“, dem Bundeswettbewerb für junge Lyrik, und Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland.

www.carl-christian-elze.de

Carl-Christian Elze liest zum einen aus

Freudenberg

(Roman, Voland & Quist/ Edition Azur 2022)

Der 17-jährige Freudenberg spricht nur gezwungenermaßen mit seiner Umwelt, fühlt sich fremd in ihr. Er hat Sehnsüchte, Phantasien, Träume – aber keine Worte, um sich verständlich zu machen. Also treffen andere die Entscheidungen für ihn. Während eines Familienurlaubs an der polnischen Ostseeküste bietet sich unverhofft die Chance, sein fremdbestimmtes Leben hinter sich zu lassen: An einem verlassenen Strandabschnitt findet er den Leichnam eines Jungen, der von der Steilküste abgestürzt ist. Freudenberg vertauscht Kleidungsstücke, Brieftaschen und Ausweise, inszeniert seinen eigenen Tod und nimmt eine neue Identität an. Doch schon bald überfordert ihn die neu gewonnene Freiheit und er kehrt in die elterliche Kleinstadt zurück, wo man ihn gerade beerdigt hat. Ein Gerüst aus Lügen soll ihm den Rückweg in sein altes Leben ermöglichen, aber dieses Gerüst trägt nicht.

Carl-Christian Elze erzählt von einem fast erwachsenen Kind, das anders ist als die anderen, erzählt von Schuld, Verdrängung und dem unstillbaren Wunsch, ein anderer zu sein.

Leseprobe

Stimmen zum Buch (Auswahl)

Wer sich auf »Freudenberg« einlässt, wird von dieser Reise ebenso verändert zurückkehren, wie sein Protagonist. Carl-Christian Elze versteht es auf wundervollste Weise, seinem Handwerk nicht nur Dramaturgie sondern weitaus wichtiger: Leben und Gespür einzuhauchen, für das, was in einem Menschenleben wichtig ist. Freudenbergs Alleinstellungsmerkmal ist eben genau dieses: Es gibt keinen zweiten wie ihn. I wish I fucking wrote this novel. „Freudenberg“ hat sich zweifelsohne einen Platz im Roggen verdient!

Anna Herzig, morehotlist. Magazin der unabhängigen Bücher & Buchmenschen

 

Carl-Christian Elze präsentiert mit diesem Buch ein Manifest für die Schwachen. Er demonstriert, dass Kinder, die austicken, über das Recht verfügen, von Konformisten respektiert zu werden. Und dieser Appell glückt ihm glänzend.

Ulf Heise, MDR Kultur: Unter Büchern

 

Durch seinen einzigartigen Erzählstil beschert der Autor seinen Leser*innen ein ungewöhnliches Leseerlebnis. Bereits nach wenigen Seiten beschleicht einen der Verdacht, dass mit der Wahrnehmung der Hauptfigur »etwas nicht stimmt«. Anfangs sind es nur kleine Dissonanzen, doch diese weiten sich rasch aus. Immer wieder blitzen Bilder auf, die Freudenbergs Realität durchbrechen. […] Die innere Not Freudenbergs wird zunehmend raumgreifender und überdeckt alle anderen Eindrücke. Das wahre Ausmaß der Tragödie wird sukzessive sichtbar. Die von Elze erzeugten Bilder sind von betörender Poesie. Mit der Explosivität seiner Assoziationen legt er den großen Schmerz und das Leiden seiner Hauptfigur frei.

Britta Röder, booknerds

 

Immer wieder entschlüpft Freudenberg sich selbst und hinterlässt einen Rest Unheimliches, Ungesagtes. Uns Leser:innen, auch dem Autor entgleitet er letztendlich – und bleibt einem gerade dadurch noch lange über die Lektüre hinaus im Gedächtnis.

Anja Kümmel, Tagesspiegel

Foto © Sascha Kokot

Zudem wird Carl-Christian Elze auch aus

Oda und der ausgestopfte Vater. Zoogeschichten

lesen, das bei kreuzer books erschienen ist.

Textauszug

Fellhöhle

»Oda« hieß die unangefochtene Lieblingslöwin meines Vaters. Ich kann nicht sagen, wie lange Oda im Leipziger Zoo unter der tierärztlichen Fürsorge meines Vaters gelebt und Löwenkinder geboren hat, aber sie muss eine Art Übermutter gewesen sein. Nicht nur, dass sie in 13 Würfen 45 Löwenkindern das Leben schenkte, sie war auch noch zusätzlich als Superamme im Einsatz. Gab es irgendwo Probleme beim Stillen, gab es eine erstgebärende Löwenmutter, die, wie es nicht selten vorkam, von der ganzen »Kindersache« überfordert war, dann konnte man Oda das fremde Kleine neben ihre eigenen Kinder an die Brust legen und es wurde auch noch satt.
Einmal, erzählte mir mein Vater, musste Oda sogar als Amme für einen Wurf Tigerbabys herhalten, denn neben den berühmten Leipziger Löwen wurden auch Sibirische Tiger über viele Jahrzehnte sehr erfolgreich im Leipziger Zoo gezüchtet. Die kleinen, hungrigen Sibirischen Tigerbabys, die ihre schwarzen Streifen in ihrem dichten gelben Fell nicht verleugnen konnten, wurden mit Löwenurin eingerieben, um zumindest ein wenig den Eindruck von Löwenkindern zu erwecken.
Gerne würde ich meinen Vater heute fragen, wie Oda damals auf die löwenpipiriechenden Streiflinge reagiert hat, ob sie zumindest kurz irritiert war und gezögert hat, bevor sie fünf gerade sein ließ, aber die Chance ist leider verpasst, denn mein Vater ist längst gestorben und somit dort, wo auch Oda ist, an einem unbekannten Ort. – Alles, was ich noch weiß, ist, dass er mir erzählte, die ganze Sache sei damals völlig reibungslos verlaufen: Oda habe die Tigerbabys gesäugt wie ihre eigenen Kinder. Wahrscheinlich war sie über Jahre hinweg in einem ununterbrochenen Hormonrausch gewesen, in einem ununterbrochenen Geburts-und-Milch-Rausch, denk ich mir heute. Aber nicht nur Oda war es so ergangen, im Grunde muss es allen erfolgreichen Löwenmüttern der »Leipziger Löwenfabrik« so ergangen sein. Und trotzdem war Oda die Königin von allen, die Oxytocin-Königin, denn gestreifte Löwenbabys zu stillen, das hatte nur sie allein fertiggebracht.

Ich selbst habe die fabelhafte Oda nie persönlich kennengelernt, ich kenne sie nur, seit ich denken kann, aus Erzählungen und von einem Schwarz-Weiß-Foto, aber vor allem als großes sandfarbenes, ganz eigen riechendes Fell, das erst im Wohnzimmer meiner Kindheit und dann in verschiedenen anderen Leipziger Wohnungen lag, in denen ich es ausgebreitet hatte, um mich heimisch zu fühlen. Nach dem Tod meines Vaters wurde ich der Erbe des Oda-Felles, wohingegen mein älterer Bruder das Fell eines männlichen Löwen erbte. Die Fell-Erbschaft beschränkte sich aber nicht nur auf zwei Löwenfelle, sondern war wesentlich umfangreicher, denn mein Bruder und ich sind in einer Art Fellhöhle aufgewachsen. Überall, vor allem im großen Wohnzimmer unserer Kindheitswohnung, lagen Felle herum oder hingen Felle an den Wänden. Ein unwissender Besucher hätte den Eindruck gewinnen können, im Hause eines DDR-Großwildjägers gelandet zu sein, so exotisch und vielfältig waren die Fellzeichnungen, die sich von der weißen Raufasertapete und vom hellbraunen Fischgrätenparkett abhoben wie gepunktete und gestreifte und tausendfach verzierte flache Schatzkisten. Mein Vater hatte um jedes einzelne Leben seiner ihm anvertrauten Zootierpatienten gekämpft, hatte in seinen mehr als 30 Jahren als Leipziger Zootierarzt bestimmt Hunderte, wenn nicht gar Tausende Kämpfe auf Leben und Tod ausgefochten, hatte sehr viele dieser Kämpfe gewonnen, aber eben auch einige verloren. Und wenn er verlor, dann suchte er Trost und Erinnerung in den Fellen. Dann suchten die Menschen der DDR-Zoos – die Direktoren, Tierärzte und Tierpfleger – Trost und Erinnerung in den Fellen. Das war auch der Grund, warum die Fellhöhle meiner Kindheit mit den Jahren immer felliger wurde – das Leben kam und ging im Leipziger Zoo, so wie es auch im normalen Nicht-Zoo-Leben kam und ging, wo Brüderchen und Schwesterchen geboren wurden und Omas und Opas starben.

Die größte Felldichte der Kindheitswohnung lässt sich vielleicht annähernd so beschreiben und inventarisieren: Es gab zwei Löwenfelle (1x Oda und 1x ein männlicher Löwe mit stattlicher Mähne, dessen Namen ich nicht mehr kenne; beide unterhalb des Fernsehers liegend), zwei Felle von ausgewachsenen Sibirischen Tigern (über den gelb-samtenen Sofalehnen hängend), einen Leoparden (mit präpariertem Kopf, wunderbaren bernsteinfarbenen Glasaugen und sehr langen Schnurrhaaren; an der Wand hängend), ein Schwarzbärfell (nicht groß, aber ein Problemfell: Mehrere Generationen von Elze’schen Haushunden liebten oder hassten genau dieses Fell und pinkelten und schissen oder erbrachen sich regelmäßig darauf), ein Przewalskipferdfell (also ein echtes Urwildpferdfell, wie ich meinen Freunden bei den von mir gerne durchgeführten Wohnungsbegehungen immer wieder versicherte), ein Zebrafell (von dem Fohlen »Christian«, das nach mir benannt worden war: ein Grevyzebrakind, dem ich mein Herz geschenkt hatte und das später an einer schweren Durchfallerkrankung gestorben war), ein Ozelotfell (klein, aber fein, und besonders wertvoll, wie mein Vater immer betonte), ein Nebelparderfell (vielleicht das schönste Raubkatzenfell der Welt: eine Mischung aus Punkten, Streifen und plattenartigen Mustern), dann Ziegenfelle, Schaffelle und noch vieles Kleinere mehr, denn auch verstorbene Haustiere (vor allem Meerschweinchen) wurden im Hause Elze zu Erinnerungszwecken auf verschiedene Weise präpariert und aufbewahrt: entweder als kleine, taschentuchgroße Felle oder als mehr oder weniger verschrumpelte, mit Holzwolle ausgestopfte und mit Glasäuglein versehene Ganzkörperpräparate.

Auszeichnungen

2022 Arbeitsstipendium der Kulturstiftung Sachsen
2021 Finalist Feldkircher Lyrikpreis; 2. Preis beim Lyrikwettbewerb „Stadtgedichte – auf den Spuren des reisenden Artisten Joachim Ringelnatz
2019 Austauschstipendium des Künstlerhauses Lukas im Baltischen Zentrum für Schriftsteller und Übersetzer Visby/Schweden; Fedrigoni Card Couture Award Bronze 2019 für „langsames ermatten im labyrinth“ und Nominierung für die Longlist der Hotlist 2019
2018 Finalist beim Lyrikpreis Meran
2017 Autorenstipendium im Künstlerhaus Edenkoben
2016 Bundesstipendium für das Deutsche Studienzentrum in Venedig;
Finalist beim Dresdner Lyrikpreis
2015 Arbeitsstipendium der Kulturstiftung Sachsen;
Heinrich-Heine-Stipendium in Lüneburg
2014 Joachim-Ringelnatz-Nachwuchspreis der Stadt Cuxhaven;
„ich lebe in einem wasserturm am meer, was albern ist“: ausgewählt von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Stiftung Lyrik Kabinett für die Gedichtbücher des Jahres 2013;
Rainer-Malkowski-Stipendium der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
2013 poet in residence in Dresden-Loschwitz
2012 Aufenthaltsstipendium der Kulturstiftung Sachsen im Gerhart-Hauptmann-Haus in Agnetendorf
2010 Lyrikpreis München; New York-Stipendium des Deutschen Hauses NY und der Max Kade-Foundation
2009 Stipendium des Künstlerhauses Lukas in Ahrenshoop
2008 DLL-Stipendium der Kulturstiftung Sachsen
2006 1.Preis Irseer Pegasus
2005 Lyrik-Debütpreis Poetenladen; Finalist beim Open Mike

Bibliographie

(Auswahl)
• Freudenberg. Roman. Voland & Quist/ Edition Azur, Berlin und Dresden 2022.
• Poesiealbum 353. Gedichte. Märkischer Verlag, Wilhelmshorst 2020.
• langsames ermatten im labyrinth. Gedichte, zweisprachig: deutsch/italienisch (Übersetzung von Daniele Vecchiato). Verlagshaus Berlin, Berlin 2019.
• Oda und der ausgestopfte Vater. Zoogeschichten. kreuzerbooks. Leipzig 2018.
• diese kleinen, in der luft hängenden, bergpredigenden gebilde. Gedichte. Verlagshaus Berlin, Berlin 2016 (2., überarbeitete Auflage 2019).
• Aufzeichnungen eines albernen Menschen. Erzählungen. Verlagshaus Berlin, Berlin 2014.
• ich lebe in einem wasserturm am meer, was albern ist. Gedichte. luxbooks, Wiesbaden 2013.